Liebt und lobt die Gelassenheit: US-Professor Odean

IMMER MIT DER RUHE

US-Börsenpsychologe Terrance Odean über die falsche Ungeduld von Anlegern und den Vorteil, eine Frau zu sein

Terrance Odean, Professor an der University of California in Davis, hat aus den Jahren 1987 bis 1996 das Verhalten von 88000 Investoren mit 160000 Aktiendepots ausgewertet.

Professor Odean, was machen Anleger an der Börse falsch?

Der durchschnittliche Anleger kauft und verkauft Aktien viel zu häufig. Wir haben festgestellt, dass die Verzinsung umso niedriger ausfällt, je aktiver ein Investor handelt - Ausnahmen bestätigen diese Regel nur. Ein typischer Investor schichtet in einem Jahr 70 Prozent seines Portfolios um. Das ist viel zu oft und schlecht für den Gewinn.

Viele Anleger kaufen und verkaufen, um vermeintlich schnelle Gewinne zu machen. Warum ist das so?

Der Mensch neigt zur Selbstüberschätzung. Das gilt für Autofahrer genauso wie für Investoren. Der allzu selbstsichere Anleger meint, dass er den Markt schlagen kann. Wenn er erfolgreich ist, liegt das an seiner brillanten Anlagestrategie, wenn es nicht klappt, sind andere Faktoren schuld.

Viele Anleger berichten von einem regelrechten Rausch beim Aktienhandel. Wie wichtig ist der Kick?

Der Unterhaltungsfaktor ist hoch. Es macht Spaß zu sagen: Heute bin ich gut drauf, heute schlage ich den Markt. Teuer, aber gut.

Welche Fehler machen die Investoren außerdem?

Verluste schmerzen mehr, als Gewinne glücklich stimmen. Das führt dazu, dass Anleger an Verlierer-Aktien festhalten und Gewinner-Aktien verkaufen. Das sichert Profit. Doch wir haben uns angesehen, wie sich die anschließend neu erworbenen Aktien im Vergleich zu den alten machten. Das Ergebnis: Die neuen erzielten im Schnitt sechs Prozent weniger Rendite als die alten, verkauften.

Gibt es auch tröstliche Nachrichten für Aktionäre?

Frau zu sein ist gut. Wir haben die Depots von alleinstehenden Männern und Frauen verglichen. Männliche Singles kauften und verkauften 67 Prozent häufiger als weibliche. Und erzielten deshalb weniger Gewinn als Frauen. Das hat auch damit zu tun, dass bei jüngeren kinderlosen Männern der Aktienkauf per Internet besonders beliebt ist. Das ist gefährlich.

Heißt das, Sie wollen auch vor dem Internet warnen?

Wir haben Aktiendepots von Online-Investoren mit ähnlichen Portfolios verglichen, die traditionell geführt werden. Wer online arbeitet, ist besonders anfällig für schnelles Kaufen und Verkaufen. Die Umschlagshäufigkeit des Depots stieg von 70 auf 120 Prozent pro Jahr. Und die einzelnen Transaktionen fielen wesentlich spekulativer aus. Beides führte zu einem deutlich verminderten Gewinn.

Wie ist dieser Verhaltenswandel zu erklären?

Der Wechsel ins Internet erzeugt durch die elektronische Informationsflut eine Illusion von Wissen. Aber: Wenn Sie Anlegern mehr Informationen geben, verbessert sich die Qualität ihrer Aktienmarktprognosen nur geringfügig. Ihr Glaube in die Qualität der Voraussagen steigt jedoch steil an. Salopp gesagt, sie machen sich etwas vor.

Aber ist es nicht so, dass man besser fundierte Entscheidungen trifft, je mehr Informationen man hat?

Okay, da steht dieser Roulettetisch. Ich erzähle Ihnen, wer ihn wann und wo entworfen und gebaut hat. Wie viele hergestellt wurden und wie die letzten 10000 Zahlen ausgefallen sind. Gibt Ihnen das eine bessere Chance, die nächste Zahl vorherzusagen? Nein. Der Aktienmarkt ist fast so zufällig wie das Roulettespiel. Die einzige Kontrolle, die der Online-Anleger hat, ist die, welche Aktien er kauft und verkauft - und wann.

Klingt so, als hätte ein Schimpanse an der Börse genauso viele Chancen.

Klar. Die Redakteure beim "Wall Street Journal" schießen mit Wurfpfeilen auf ein Dartboard voll Aktien und schlagen den Markt dabei in 40 Prozent aller Fälle. Sie lachen, es ist wahr.

Was raten Sie Anlegern - Pfeile werfen, würfeln?

Nein. Investieren Sie Ihr Geld in Index- und Investmentfonds. Und wenn Sie den Thrill des Aktienhandels nicht ganz aufgeben wollen, nehmen Sie zehn Prozent Ihres Portfolios als Spielgeld - dann bekommen Sie 90 Prozent des Spaßes für nur zehn Prozent des Risikos.

STERN I Ausgabe: 8 I 15-02-2001 I Seite: 126 I Autorin: MARIA BIEL | Fotonachweis: TOERGE, BLACKSTAR